Auszug aus dem Alb-Boten vom Samstag, 23.Juni 1990

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Fast 500 Jahre altes Privileg.         Wir Schlatthöfler sind stolz auf unser Holz" 

Nutzungsrechte an 171 Hektar großem Wald noch heute im Besitz der männlichen Abkömmlinge von einst neun Erzinger Geschlechter Es ist ein außergewöhnliches und in unserem Land wohl einmaliges Bürgerprivileg, das in Erzingen bestimmten Familien ein Recht besonderer Art verleiht. Den männlichen Abkömmlingen von ehemals neun Geschlechtern steht seit rd. 500 Jahren das Nutzungsrecht an einem heute 171 ha großen, einst dem “Schlatthof" angehörenden Waldgrundstück zu, das als nördlichster Gemarkungsteil von Erzingen gleich einem Wurmfortsatz peripher zwischen die Gemarkungen Degernau, Ofteringen, Untereggingen und dem schweizerischen Trasadingen hineinragt, ja sogar die Landesgrenze überschreitet und sich mit einem Überstoß auch auf die Schweizer Gemarkung Trasadingen erstreckt. Die “Schlatthöfler", wie die Genußberechtigten seit dem Spätmittelalter genannt werden, waren ob ihres alten Bürgerprivilegs da her in Erzingen in den vergangenen 500 Jähren eine sehr einflußreiche Bürgerschicht, und Spötter bezeichneten sie daher einst als Bürger 1. Klasse, welche (bis heute) die nicht genußberechtigten Bürger und die Zugezogenen ihrerseits spöttisch als “Mauchen" und Hannemauchen" bezeichneten. Und das sicherlich nicht ganz zu Unrecht, denn das gemeinschaftliche Genußrecht an dem schon immer stattlich bestockten Schlattwald bedeutete vor allem in früherer Zeit, als die Wälder noch die ,,Sparkassen der Gemeinden" genannt wurden, Vermögen und damit , auch Einfluß. So gab es in der Erzinger Vergangenheit viele örtliche Maßnahmen, an denen sich auch die “Schlatthöfler" finanziell beteiligten. Über außerordentliche Holzhiebe stellten sie Gelder als Darlehen zur Verfügung, oder spendeten namhafte Finanzierungsbeiträge wie beim Kirchenneubau und der Glockenneubeschaffung. Es war daher nicht verwunderlich, daß die Erzinger Kommunalpolitik jahrhundertelang von dem “Schlatthöflern" maßgeblich mitgeprägt wurde. In einer Zeit schließlich, in der die Kosten der Wald- und Kulturpflege, des Wegebaus und der Holzaufbereitung auch die Erlöse des Schlattwaldes schmälerten, wo sich durch vielfältige Zuzüge die Bevölkerungszusammensetzung völlig veränderte und eine Gemeindereform auch das Genußrecht am Schlattwald in einer anderen kommunalpolitischen Perspektive zu sehen. Doch die Rechtssubstanz des Bürgerprivilegs ist nach wie vor unverändert und die Genußberechtigten können stolz auf eine 500jährige Geschichte zurückblicken. Wie es zum Schlatthofrecht kam Im 16. Jahrhundert verkauften die Herren von Sulz den sogenannten Schlatthof, der aus 165 ha Wald und 26 ha Äcker und Wiesen bestand, für eine Kaufsumme von 1800 Fl (Gulden) an die Bürger von Erzingen. Das Kaufdatum liegt, da keine Urkunde ausgefertigt wurde, im Dunkeln und mit ihm auch die alte Frage, ob damals die ganze Gemeinde Erzingen - oder nur bestimmte Familien den Kauf tätigten. Beim Versuch, diese Frage zu beantworten, gab es schon immer konträre Rechtsmeinungen, die vor dem nachfolgenden historischen Hintergrund gesehen - und beurteilt werden müssen. Dabei darf die Tatsache nicht übersehen werden, daß im Mittelalter ausschließlich Königtum, Adel und Klöster in unserer Gegend das politische Gefüge bestimmten und die “Gemeinde" als juristische Person, als Gebietskörpcrschaft, noch nicht existierte. In der damaligen Zeit bestand keine scharfe Trennung zwischen dem privaten Grundvermögen und dem Grundbesitz der Gemeinde. Die Gemeinde wurde als Schutz- und Rechtsgenossenschaft betrachtet, deren Mitglieder als solche auch Miteigentümer der gemeinschaftlichen Vermögens waren. Ausfluß dieser Art von Eigentum war die Nutzungsbefugnis. Eine Trennung erfolgte erst mit der juristischen Bildung der Gemeinden im 19. Jahrhundert. Die Nutznießung des unverbrieft gekauften Schlatthofes führte dann auch unter den Gemeindemitgliedern prompt zu massiven Streitigkeiten, da die Nutzungsregeln verschieden ausgelegt wurden. Die Notwendigkeit, die unterlassene Verbriefung nachzuholen, erkannten dann auch nicht nur die Gemeindemitglieder selbst, sondern vor allem auch der Landesherr, Landgraf Rudolf von Sulz, der de" in Weisweil ansässigen Prun Hanss (Namensforscher würden den Namen wohl als der “braune Hans" übersetzen) beauftragte, in seinem Namen zu Gericht zu sitzen und als Urkundsperson das Nutzungsrecht der Erzinger schriftlich niederzulegen. So wurde schließlich am “Donnerstag nach Simon Juda .im Jahre 1533", also am 28. Oktober 1533, in Abwesenheit der Erzinger Gemeindemitglieder, des Vogtes und des Gerichtes in Erzingen von Prun Hanss aus Weisweil der sogenannte “Schlatthofbrief" öffentlich beurkundet. Darm heißt es unter anderem, daß der Schlatthof mit seinen Äckern, Matten, Holz, Feld, Weiden und Gewässern im Ausmaß von ca. 800 Juchert “etliche Jahre" vorher gekauft worden sei und daß Zwistigkeiten Anlaß zur Ausfertigung des Briefes waren, mit dem man künftig Spannungen, Irrtümer, Zwietracht etc. vermeiden wolle. Mit dem Hinweis ,,etliche Jahre vorher" muß die Zeit zwischen 1499 und dem Ausbruch des Bauernkriegs 1523 gemeint sein. Landgraf Rudolf von Sulz wollte sein 1499 zerstörtes Tiengener Schloß wieder aufbauen, weshalb er mit dem Verkauf des sogenannten Schlatthof s für 1800 Gulden an die Erzinger Bürger sein Eigenkapital aufbesserte. So kann man sich auch ausmalen daß sich Rudolf von Sulz 1533 des früheren schriftlosen Verkaufs wohl bewußt war, als er am 28. Oktober den Delegierten Prun Hanss von Weisweil zur Ausfertigung des “Schlatthofbriefes" beauftragte, der Urkundengrundlage des sogenannten Bürgerprivilegs, die sich heute im Generallandesarchiv befindet. Doch es gibt einen weiteren urkundlichen Nachweis, dem bislang offensichtlich noch nie Beachtung geschenkt wurde: Die “Untertanen des Klettgaus, des Küssabergcr Tals und aus Tiengen" richteten am 23. l. 1525, auf dem Höhepunkt des Bauernkrieges, einen 43 Artikel umfassenden Beschwerdebrief gegen Graf Rudolf von Sulz (E. Müller/Ettikon im Buch “Der Klettgau", S. 186 ff) an den “ehrsamen Rat der Stadt Zürich", dessen Bürger der Landgraf ja bekanntlich war. In diesem Brief heißt es unter Artikel 26: “Haben die von Erzingen einen Hof, heißt Schlatthof, darauf ist ein Gebot gesetzt drei Pfund Heller, wenn einer einen unnutzbaren Stier oder Vieh darauf tut; und ist dieses Gebot nit angenommen von einer ganzen Gemeinde und kürzlich aufgelaufen." Ein zusätzlicher urkundlicher Rechtshin- und -nachweis, nicht mehr und nicht weniger. Die Auslegung des Schlatthofbriefes und ihre Folgen. Diejenigen, welche am Schlatthofkauf Anteil hatten, haben sich im Schlatthofbrief vom 28. 10.1533 dahingehend geeinigt, daß sie den Schlatthof “glichfermig miteinander nutzen und nießen". Im Brief selbst ist außerdem einerseits erwähnt, daß die “gantze Gemeinde" den Schlatthof erkauft hat, andererseits geht aber auch wieder daraus hervor und namentlich bei dem Satz .die, so uss obberührter Gemeindte ahn abgeschriebenen Schladthof Theil und gemein hätten", so daß nur gewisse Geschlechter an dem Kauf beteiligt waren. Doch die Namen dieser nutzberechtigten Geschlechter sind in den Urkunden der damaligen Zeit nicht zu finden. Erst als ein Enkel der am Schlatthofkauf beteiligten einstigen Erzinger Familie “Schuomacher" seine Rechte bei den im Landgrafenamt ab 1687 nachfolgenden Schwarzenbergern geltend machte, tauchten die Namen der 9 Geschlechter auf. Dieser Enkel, namens Jacob Schuomacher, Bürger und Schneider in Erzingen, erwähnte in seiner Eingabe an den Schwarzenbergschen Rat zu Tiengen, daß die “Stolle, Hueber, Zöllin, Weissenbergcr, Indlikofer, Netzhammer, Zimmermann, Winterle und Schuomacher" den Schlatthof erworben haben und zwar in der Weise, daß jedes Geschlecht 200 fl zu zahlen hatte - und 9x200 fl gibt schließlich auch den bereits genannten Kaufpreis von 1800 fl (Gulden). Interessant ist, warum und auf welche Weise die einst berechtigte Familie Schuomacher die Schlatthofprivilegien verlor. Der am Kauf einst beteiligte Großvater des Antragstellenden Jacob Schuomacher hinterließ 3 Buben, die “verstreut" wurden, d. h. in die Fremde gingen. Zwei dieser Buben, darunter der Vater des Beschwerdeführers, kamen als Männer wieder zurück nach Erzingen und meldeten sich gleich wegen der Schlatthofnutzung an und warteten bis “die Kehr in diesem Wald zu holzen" an ihnen war ab. Doch die Entscheidung des damaligen Vogtes Hans Weißenberger, daß sie nichts mehr zu bekommen hätten, da “die Sach des Vaters auf die Ganth" gekommen sei (Gant; alem. mundartl. Bez. für Konkurs), hielt auch einer Beschwerde beim Schwarzenbergschen Rat in Tiengen stand. Ein Jahrhundert lang Streit Die Streitigkeiten hörten nicht auf. Die Akten des Amtes der Schwarzenberger in Tiengen über Berichte und Klagen des Barbiers Hans Georg Stoll, des Vogtes Johann Zimmermann und des Geschworenen Hans Jörg Zölle berichteten über ein streitgefülltcs 18. Jahrhundert. Sie gipftelten in einer vorübergehenden Aufhebung des Privilegs und der Ausdehnung des Nutzungsrechtes auf alle Gemeindeeinwohner von 1735 bis 1744 und führten zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen einer sich gebildeten Taglöhnerpartei und den Bauern. Dann schließlich und endlich machten die Schlatthöfler Nägel mit Köpfen, indem sie in einem Protokoll über eine Zusamenkunft der Schlatthöfler vom 4- Juni 1772 die bislang nicht festgeschriebenen Regeln über die Nutzung als “Richtschnur und künftige bestandige Beobachtung" beschlossen und alle genußberechtigten Schlatthöfler unterzeichnen ließen. Doch die drei Genußbcrechtigten: Hans Georg Stoll, Barbier, Hans Michel Stoll und Hans Georg Huber, Küfers Sohn, verweigerten die Unterzeichnung Sie beanstandete, daß verschiedene Stämme keinen Anteil am damaligen Erwerb gehabt hatten und forderten von diesen eine entsprechende Beweisführung. In einer vor dem Schwarzenbergschen Regierungsrat Muffat am 7 August 1772 entgegengenommenen Erklärung wurden ergänzende Regelungen aufgenommen, in der es Zugeständnisse auf beiden Seiten gab. Dieser Kompromiß wurde dann schlußendlich auch von den drei “Außenseitern" unterschrieben. Jetzt bestanden endlich schriftlich fixierte Schlatthof Statuten, die da unter anderem bestimmten. • Die Nutznießung steht den 9 Geschlechtern Huber, Indlekofer, Netzhammer, Schumacher, Stoll, Weißenberger, Winter, Zimmermann und Zölle zu. Den Abkömmlingen der Familie Schumacher wurde gegen Zahlung einer Taxe von 10 fl (Gulden) zugestanden, wieder in das alte Recht einzutreten. Die Familie Schumacher ist zwischenzeitlich ausgestorben, so daß nur noch 8 genußberechtigte Geschlechter verbleiben. • Das Recht wird nur an männliche Nachkommen vererbt. Es kann erst dann angetreten werden, wenn ein eigener Hausstand errichtet wurde, wobei natürlich eine vorherige Heirat vorausgesetzt wurde. • Der Fortzug aus Erzingen, ein “liederlicher" Lebenswandel und Verbrechensverurteilungen führen zum Verlust des Rechtes. • Hingegen wurde einschränkend vermerkt, daß “diejenigen, weiche aus Unglücksfällen auf die Gant kommen, vom Schlatthofgenuß nicht ausgeschlossen, sondern dabei fortan belassen werden." Außerdem soll bei männlichen Nachkommen von einst ausgeschlossenen Verurteilten künftig das Recht der Vorfahren wieder aufleben. Diese Schlatthofstatuten sind noch heute die Grundlagen für die Weiterführung des Genußrechtes. Doch der streitbare und offensichtlich selbstbewußte einstige Barbier Hans Georg Stoll wollte ganz sicher gehen. Er richtete einen Brief an das Amt in Tiengen, dem er eine Abschrift des Schlatthofbriefes vom 28. 10. 1533 mit seinen Randvermerken über die Rechtsauslegungen beifügte und unter den er eine Anmerkung schrieb, die wie folgt endet; “Diejenigen Bürger, so an vorbemeldeten Schladthoff Theill und gcmeind haben, bestehen in neun Geschlechtern wi folgt als Huber usw. - Die hier nachgesetzten Geschlechter haben an dem oft bemeldten Schlatthoff nichts zu fordern als da sind: Durst, Bendel, Müller, Rüschle und Bollinger. Daß diesem also sye ist mit der ganzen Gemeindt Ertzingen zu beweisen." Die “Hochfürstliche Schwarzenberische Regierungskanzlei in Thiengen" nahm das alles zu den Akten. Auf diese Weise sind die Belege dieses einstigen Verfahrens in gute Verwahrung zum Generallandesarchiv nach Karlsruhe gelangt, wo sie noch heute “schlummern". Das Genußrecht in der neueren Zeit Zum 1.1. 1874 verfügte die badische Regierung, daß die Schlatthöfler eine Schlatthofrechnung zu führen haben, die mit der Gemeinderechnung zu vereinigen sei. Zwischenzeitlich hatten sich nämlich die politischen Gemeinden im heutigen Sinne als selbständige Gebietskörperschaften gebildet, die Vögte und Geschworenen gehörten der Vergangenheit an, sie wurden durch den Bürgermeister und die Gemeinderäte ersetzt, die Gemeindeverfassung entwickelte sich immer stärker zum heutigen Selbstverwaltungsprinzip. Das Großherzogl. Bad. Innenministerium schaffte schließlich mit Erlaß vom 2.5.1840 Nr. 4943 auch Klarheit über die Frage der Eigentumsverhältnisse in dem ausgesprochen wurde, daß lediglich das Genußrecht am Wald (nicht aber auch an Äcker und Wiesen) des Schlatthofes bestimmten Familien und ihren Erben zustehe, welche am Stichtag 1. 1. 1831 bereits im Genüsse waren und daß dieses Recht nur auf Familiensöhne mit eigener Haushaltung, nicht aber auf Familientöchter übertragbar sei. Die auf dem Genuß ruhenden Lasten wie Staatssteuern, Löhne. Geschäftsgebühren, Kulturkosten, Holzbauerkosten usw. seien von den Genußberechtigten zu tragen bzw. aus dem Waldertrag zu bestreiten. Am 6. 6. 1850 erfolgte die Eintragung in das Grundbuch von Erzingen unter dem Eigentum der Gemeinde mit der beschränkenden Last der Nutzungsberechtigung für die genannten 8 Familien. Der Schlatthofnutzen ist also kein öffentlich-rechtlicher Bürgernutzen, sondern ein Nutzungsrecht, das als privatrechtliche Last auf dem Waldgrundstück der Gemeinde ruht, die über die Verwendung der zu-stehenden Ertragsanteile erforderlichenfalls mit den Nutzungsberechtigten Vereinbarungen schließen kann. Das Erzinger Schlatthofrecht ist daher auch seit Jahrzehnten kein kommunalpolitisches Problem mehr. Die annähernd 500jährige Nutzungspraxis ist in der Klettgaugemeinde längst kommunalen Alltagsgeschäft geworden. Doch viele der genußberechtigten Abkömmlinge sind zu Recht noch immer stolz auf ihr außergewöhnliches Bürgerprivileg, dem eine gewisse “Ewigkeitswirkung" rechtlich anhängt und manche dieser Schlatthöfler geben diesem Stolz sogar Ausdruck durch einen Autoaufkleber, der du Aufschrift trägt: “Wir Schlatthöfler sind stolz auf unser Holz!".      Hubert Roth

Autoaufkleber